HIV & Beschneidung Aktuelle Zusammenfassung |
Beschneidung senkt HIV-Risiko um die HälfteDie Gründe dafür liegen nicht etwa im Sexualverhalten,sondern im hohen Infektionspotenzial der Vorhaut. [1] Die Beschneidung von Männern kann das Risiko einer Aids-Infektion halbieren und so zu einem wirksamen Instrument gegen die Ausbreitung der Immunschwäche werden. Dies zeigten Untersuchungen in Kenia und Uganda mit beschnittenen und unbeschnittenen Männern, die vom US-Institut für Allergie- und Ansteckungskrankheiten (NIAID) am 13.12.2006 in Washington veröffentlicht wurden. [2] Die Beschneidung könne nicht nur das persönliche Infektionsrisiko senken, sondern hoffentlich auch die Ausbreitung von Aids in der Gesellschaft, erklärte Anthony Fauci, Direktor des Instituts für Allergie und Infektionskrankheiten am NIH. [3] In Kenia wurden demnach 2784 Männer, die zu Beginn der Studie nicht mit dem HI-Virus infiziert waren, beobachtet. Am Ende lag die Zahl der Aids-Infizierten bei den Beschnittenen um 53 Prozent unter der der Unbeschnittenen. Ein ähnliches Bild zeigte sich in Uganda, wo 4996 Männer einbezogen wurden. Hier sank das Risiko bei beschnittenen Männern um 48 Prozent. [2] Die am Mittwoch veröffentlichten Studien bestätigen damit Beobachtungen, die schon in den 80er Jahren gemacht wurden. Auch eine Untersuchung im vergangenen Jahr (2005) in Südafrika bei 3.035 sexuell aktiven Männern kam zu dem Ergebnis, dass Männer nach einer Beschneidung zu 65 Prozent gegen eine HIV-Infektion geschützt sind. [9] Das UN-Bevölkerungsprogramm schätzt, dass durch eine Eingliederung der Beschneidung in Kampagnen zur Aids-Bekämpfung in den kommenden zwei Jahrzehnten 3,7 Millionen Infektionen und 2,7 Millionen Tote verhindert werden können. [2] Eine Beschneidung senkt das Risiko einer Infektion mit dem Aidsvirus HIV bei Männern auf ein Sechstel. Diesen Schluss ziehen Forscher der Johns Hopkins Universität in Baltimore (US-Staat Maryland) und des indischen Aidsforschungsinstituts in Pune aus einer Studie an indischen Männern. Ganze 7 Jahre lang (1993 bis 2000) wurden 2300 Männer untersucht. Beschnittene Männer infizierten sich deutlich seltener mit HIV, schreiben die Forscher Bollinger und seine Kollegen im Fachjournal "The Lancet" (Bd. 363, S. 1039 vom 26.03.2004). Der Studie zufolge ist die Vorhaut mit Zellen gespickt, die dem Aidserreger besonders leicht anheim fallen. Zu ihnen gehören CD4+-T-Lymphozyten und Langerhanssche Zellen. Das tückische Aidsvirus verschafft sich zu diesen Zellen «einfachen Zugang», wie die Forscher erläutern. [4] Nach einer australischen Veröffentlichung ist das Risiko einer übertragung des HI-Virus bei nicht beschnittenen Männern sogar bis zu achtmal größer als bei beschnittenen. Auch hier wird bestätigt: Der Erreger greift bestimmte Zellen an der Innenseite der männlichen Vorhaut an. Forscher vom Frauenkrankenhaus der Universität Melbourne hatten nach Auswertung von 40 früheren Studien herausgefunden, dass sich auf der Innenseite der männlichen Vorhaut Zellen mit HIV-Rezeptoren befinden. Dadurch ist dieser Bereich besonders anfällig für eine HIV-Infektion. [6] Neuerdings dient die in Afrika verbreitete Minioperation nicht mehr nur als Initiationsritus, der Jungen zu Männern macht. Immer häufiger tauchen bei den archaischen Stammeszeremonien sogar Jungen auf, in deren Familien die Beschneidung bislang unüblich war. Mit der kleinen Metzelei wollen viele Eltern verhindern, dass das Stückchen Haut ihren Kindern dereinst zum tödlichen Verhängnis wird: Die Söhne sollen davor geschützt werden, sich beim Sex mit dem HI-Virus anzustecken. Der US-Virologe Bruce Patterson glaubt jetzt sogar beobachtet zu haben, wie sich die Erreger durch die anatomische Schwachstelle Zutritt in den Körper verschaffen. An die 30 frisch skalpierte Vorhäute hat der Forscher mittlerweile im Reagenzglas mit den todbringenden Erregern infiziert. Nachschub für seine Experimente erhält der Forscher von Männern, die auf Grund ihrer Vorhautverengung gezwungen sind, sich im gestandenen Mannesalter von Ihrem intimsten Stückchen Gewebe zu trennen. Damit ergatterte der Mediziner Vorhäute der besonders gefährdeten Gruppe der 20- bis 45-Jährigen. Jedes Mal wenn neue Gewebeproben in sein Labor an der Northwestern University in Chicago eintreffen, markiert Patterson die Vorhautzellen und Aidsviren zunächst mit unterschiedlichen Farbstoffen. Dringen die Erreger dann in die Hautschichten an der Vorhautinnenseite, verfärbt sich das Gewebe sichtbar - an der Vorhautaußenseite hingegen perlen die Viren ab wie Tropfen an einem Regenschirm. Für unbeschnittene Männer, so haben Forscher nun errechnet, steigt die Infektionsrate auf das 2,5- bis 8fache gegenüber Geschlechtsgenossen ohne Vorhaut. Männer mit Vorhaut stecken sich also deutlich leichter mit dem Aidserreger an. Mediziner raten deshalb zur massenhaften Beschneidung. Virologe Patterson ist deshalb überzeugt: "In vielen Ländern wäre Beschneidung die beste Vorbeugung gegen Aids." Vor allem in Afrika könnte diese Empfehlung Leben retten: Dort breitet sich das Virus hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau aus. Südlich der Sahara leben 70 Prozent aller mit dem HI-Virus infizierten Menschen, aber nur zehn Prozent der gesamten Weltbevölkerung. Auch in Afrika selbst haben Wissenschaftler kürzlich eine erstaunliche Entdeckung gemacht. In Uganda testeten ärzte 187 höchst ungleiche Paare: Während sich die Frauen bereits mit dem HI-Virus angesteckt hatten, waren ihre Ehemänner bislang verschont geblieben. Die Forscher klärten die Männer daraufhin über ihr hohes Sex-Risiko auf und verteilten kostenlos Kondome. Die Mühe der ärzte war umsonst. Fast alle schlugen die Warnung in den Wind. Doch zweieinhalb Jahre später hatte sich überraschenderweise kein einziger der 50 beschnittenen Männer das tückische Virus geholt - wohl aber 57 Herren mit intakter Vorhaut. Solche epidemiologischen Erhebungen regen Mediziner nun zu spekulativen Zahlenspielen an. In Ländern wie Nigeria oder Indonesien, wo nur ein knappes Fünftel der Männer unbeschnitten durchs Leben wandelt, ließe sich durch den Schnitt im Schritt die Zahl der HIV-Infektionen um 25 Prozent verringern, rechnet der Epidemiologe Robert Bailey von der University of Illinois in Chicago vor. Und in Sambia oder Thailand - dort lebt nur jeder fünfte Mann ohne Vorhaut - könnte die Ausbreitung des Virus sogar mehr als halbiert werden, wenn man alle Männer beschneiden würde. [5] Robert Bailey von der Universität Illinois in Chicago fordert deswegen die konsequente Beschneidung von Männern in Asien und Afrika. So soll die rasante Ausbreitung von Aids gestoppt werden. Der Aids-Experte Richard Burzynski widerspricht aber seinem Kollegen. Eine Beschneidungskampagne sei zu teuer. Die Kosten von 4,50 EUR pro Mann überforderten die Gesundheitssysteme dieser Länder. Für Gesundheitskosten würden pro Person und Jahr durchschnittlich nur 3 EUR ausgegeben. [7] Die beiden größten Anti-HIV-Programme, Präsident Bushs "Emergency Plan for Aids Relief" und der "Global Fund to Fight Aids", erklärten sich jetzt bereit, solche Programme zu finanzieren. [8] Im afrikanischen Königreich Swasiland sind laut UNICEF mehr als 40 % aller Erwachsenen mit dem HI-Virus infiziert, bei den 20 bis 30jährigen ist es sogar nahezu die Hälfte. Das Land weist damit die mit Abstand höchste Quote der Welt auf. Um die Zahl der Neuinfektionen in Zukunft zu verringern, setzen ärzte und Regierung nun auf die Beschneidung aller geschlechtsreifen Männer. Versuche mit dieser Variante der Prävention in Kenia und Uganda zeigten, dass sich damit das Risiko der Ansteckung um mehr als die Hälfte senken lässt. Das Gesundheitsministerium des Landes denkt deshalb zur Zeit über eine groß angelegte Beschneidungskampagne nach. Allerdings warte man noch auf ein Signal von der Weltgesundheitsorganisation. Nicht weil man auf weitere wissenschaftliche Bestätigung hofft, sondern weil man für die Durchführung einer solchen Aktion dringend internationale Hilfe benötigt. In dem afrikanischen Königreich gibt es im Augenblick etwas mehr als 100 ärzte für über eine Million Einwohner, d.h. pro Arzt theoretisch 10.000 bis 11.000 Patienten. Und auch wenn das natürlich nicht alles Männer sind, ist eine Kampagne, wie sie die Regierung plant, so natürlich nicht durchführbar. An jedem "Circumcision-Day", an dem in den Krankenhäusern kostenlose Beschneidungen angeboten werden, können zur Zeit ca. 40 Männer behandelt werden, rund 200 andere müssen unverrichteter Dinge wieder nach hause gehen. Dabei nimmt die Begeisterung für den "Snip" nach anfänglichem Zögern inzwischen deutlich zu. In der ersten Phase der Projekts weigerten sich viele Männer, weil sie einen Verlust ihres Ansehens fürchteten oder über mögliche Folgen des Eingriffs nicht ausreichend informiert waren. Das Problem war, dass in Swasiland, im Gegensatz zu anderen südafrikanischen Ländern, die Beschneidung von Männern nicht zur althergebrachten Tradition gehört. Ein König der Swasi ließ das bis dahin regelmäßig angewendete Ritual im 19. Jahrhundert verbieten, weil die Heilungsprozedur die jugendlichen Männer zu lange vom Kriegsdienst fernhielt. Für den "Boom" der letzten Monate sind deshalb vor allem die Frauen verantwortlich, die ihre Söhne und Ehemänner zunehmend resoluter zum Arztbesuch zwingen, um sie und sich selbst zu schützen. Um dem Ansturm überhaupt gerecht werden zu können, will sich das Gesundheitsministerium nun auf die besonders gefährdete Gruppe der 15- 30jährigen konzentrieren und setzt ansonsten auf die Hilfe internationaler Organisationen. "Mit ein wenig Hilfe könnten wir den größten Teil der Kampagne innerhalb weniger Jahre hinter uns gebracht haben", argumentieren die ärzte. Ein positiver Nebeneffekt sei zudem die Aufklärung der Bevölkerung über die genauen Zusammenhänge der Krankheit. "Wir wissen, dass wir damit nicht die Silberkugel gegen Aids erfunden haben", sagen die Organisatoren der Kampagne. Aber wenn es eine so kostengünstige, ungefährliche und dauerhafte Methode gibt, mit der tausenden von Swasi das Leben gerettet werden könnte, dann sei man zum landesweiten "Snip" bereit. [10]
Quellenangabe:
[1] = Der Spiegel Online, 26.03.2004 ("Beschneidung schützt vor Aids") [2] = AFP, 13.12.2006 ("Beschneidung von Männern senkt Aids-Gefahr deutlich") [3] = Sueddeutsche, 14.12.2006 ("Kampf gegen Aids") [4] = dpa / The Lancet, 1999, Bd. 363, S. 1039 ("HIV-Risiko durch Beschneidung bei Männern auf ein Sechstel reduziert") [5] = Der Spiegel, 15.01.2001 ("Männer mit Vorhaut stecken sich leichter mit dem Aidserreger an") [6] = Der Spiegel, 2000 ("Beschnittene Männer haben geringeres HIV-Risiko") [7] = Münchener Abendzeitung, 30.09.1999 ("Kleineres Aids-Risiko für Beschnittene") [8] = Der Tagesspiegel vom 15.12.2006 ("Beschnittene Männer haben geringeres Aids-Risiko") [9] = Medica.de, 28.07.2005 ("HIV: Beschneidung verhindert viele Infektionen") [10] = Berliner Umschau vom 05.02.2007 ("Aids-Prävention: Swasiland plant den "Snip" für alle") Stand der Zusammenfassung: 01.10.2007 |